„Not lehrt beten“, sagt man. Oder umgekehrt: „Uns geht’s zu gut!“ Ich hatte schon immer Zweifel an diesen Aussagen. Aber mir fehlte zugleich der Gegenbeweis. Ja, es ging uns gut. Wie gut, weiß ich erst seit dem letzten Jahr: Reisen, Freunde treffen, verlässliches Einkommen, spontane Restaurantbesuche ..., und wenn man doch mal ernsthaft krank werden sollte, die nahezu sichere Aussicht auf ein Bett im Krankenhaus. Kein Wunder, dass da Gott keine große Rolle spielt?
Vielleicht.
Aber dann hätten ja im vergangenen Jahr die Kirchen voll sein müssen. Klar, die hatten zunächst auch zu. Aber die Gottesdienst-Streams und Seelsorge-Hotlines hätten wenigstens glühen sollen. Taten sie nicht. Möglich, dass aus den privaten Wohnzimmern unzählige Gebete Richtung Himmel strömten. Das weiß Gott allein. Und auf die Gefahr hin, dass ich – falls es doch genauso gewesen ist – vielen Menschen Unrecht tue, wage ich die vorsichtige These: Während der Corona-Pandemie wurde zwischen Brettspiel am Familientisch und digitaler Kommunikation vieles (wieder)gefunden, aber Gebet gehörte nur in wenigen Fällen dazu. Und nein, ich habe keine verlässlichen Zahlen studiert, keine Umfrageergebnisse oder Fachliteratur gelesen. Es ist einfach nur meine ganz subjektive Beobachtung, die zu diesem Ergebnis kommt: Not lehrt nicht automatisch beten. Mit ihren Sorgen um den Arbeitsplatz, ihrer Einsamkeit, der Angst vor Ansteckung, der Überlastung durch Homeoffice in der Kombination mit Homeschooling und dem Ärger über die abgesagten Veranstaltungen kamen die meisten Menschen nicht zu Gott. Was soll er auch schon machen, wenn er scheinbar nicht einmal ein Virus in Schach halten kann?
Kopfschüttelnd sitzt meine evangelische Kollegin im Lehrerzimmer. Sie liest eine Handreichung für den Konfirmandenunterricht in Zeiten von Social Distancing. Ein Vorschlag ist, dass die Jugendlichen irgendeine Telefonnummer anrufen sollen, um mit dem Unbekannten ein Gespräch über den Glauben zu beginnen. Meine spontane Reaktion: Ich hätte da keine Lust dazu. Nein, definitiv, ich will niemanden, mit dem ich noch nie ein Wort gesprochen habe, anrufen und ihm erzählen, was mich bewegt. Weder über meinen Glauben noch über sonst etwas.
Gilt das auch für Gott? Hätte ich noch nie ein Wort mit ihm gesprochen, wäre dann ausgerechnet jetzt der richtige Moment dafür? Jetzt, wo ich mich angegriffen, verletzlich und vor allem ohnmächtig fühle?
Damit in der Not Gebet eine wirkliche Hilfe werden kann und es leichtfällt, die Nummer Gottes zu wählen, braucht es ihn bereits in den eigenen Kontakten. Aber reicht das?
Ich vermute, es benötigt noch mehr als ein längst veraltetes Adressbuch. Gebet braucht Übung. Und es fällt mir etwas schwer, das zu schreiben. Nicht weil ich die Anstrengung scheue, sondern weil ich etwas dagegen habe, Gebet nach dem Motto zu verzwecken: Damit ich in der Not eine Strategie habe, übe ich jetzt beten. Das wäre, wie wenn ich mich nur mit meinen Freunden treffen würde, um im Zweifel jemanden zu haben, auf dessen Hilfe ich mich verlassen kann. Nein, darum geht es nicht. Deshalb: Vergessen wir für einen Moment die Not. Sehen wir das neue Jahr, das jetzt noch fast ganz frisch vor uns liegt und das – mit oder ohne Corona – Herausforderungen mit sich bringen wird. Ich will durch dieses Jahr mit Gott gehen. Oder besser: Ich wünsche mir, dass ER mit mir geht.
Als meine Kollegin von der etwas schrägen Konfirmanden-Telefon-Aktion erzählte, war übrigens mein zweiter Gedanke: Und ich will auch nicht, dass mich einfach jemand anruft und mit mir über den Glauben sprechen will. Ja, ich hasse diese überraschenden Anrufe, bei denen ich das klingelnde Telefon schnell unters Kinn klemmen muss, weil meine Hände zum Beispiel gerade einen Teig kneten und der Kuchen in den Ofen muss. Wenn ich schon über Glauben reden soll, will ich wenigstens sagen, wann es passt.
Okay, ich weiß, man kann Gott nicht vorschreiben, wann er ins eigene Leben kommt. Oft passiert das unerwartet. Meistens ist das im Nachhinein betrachtet gar nicht so schlecht. Aber dennoch, wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Gott lieber einladen und hoffen, dass er – so wie es mir und meinem Leben entspricht – Schritt für Schritt mit mir geht.
Das klingt gut, oder?
Leider muss ich zugeben, dass ich in diesem Jahr nicht nur Gott einladen will. Es gibt eine ziemlich lange Liste an Menschen, deren Besuch noch aussteht ... Aber dann war gerade bei der Arbeit viel los. Wir fanden einfach keinen Termin. Es gab noch so viel anderes zu tun ... Gründe gibt es viele.
In diesen Fällen hilft mir manchmal eine To-do-Liste. Ein Plan, der mir vor Augen führt, was ich vorhabe, was Priorität hat, auf den ich einen Namen setzen kann, mit dem ich heute ausmache, wann wir uns treffen werden (bei einem Kaffee oder zur Not am Telefon).
Ob es auch so eine Liste für meinen Kontakt mit Gott geben könnte? Einen Plan, der unsere Treffen fixiert und mich Schritt für Schritt wachsen lässt? Ein Tool, das mich mehr und mehr dazu befähigt, das, was mich bewegt, vor ihn zu bringen? Eine Übung, die mir hilft, auch ihn immer besser zu verstehen?
Mich hat das vergangene Jahr gelehrt, wie gut es ist, mit Gott in Kontakt zu sein. Deshalb steht auf meiner To-do-Liste für 2021 ganz oben, in diese Freundschaft zu investieren. Mein erster Schritt war es, einen Plan dafür zu erstellen. Ich teile ihn hier gerne.
MEIN PLAN
FÜR MEINE FREUNDSCHAFT MIT GOTT
Zum Jahresbeginn
Unmittelbar vor meinem Treffen mit Gott
Direkt nach meinem Treffen mit Gott
Am Ende der Woche
KATHARINA RITTER-SCHARDT
www.orientierungssinn-couching.de
aus: Zeitschrift BEGEGNUNG, 1/2021
Schönstattbewegung
Frauen und Mütter
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